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22. Nanopartikel in Zusatz- und Hilfsstoffen

Nanopartikel sind mikroskopisch kleine Teilchen, die sich aufgrund ihrer sehr geringen Größe (< 100 nm) anders verhalten als größere Partikel der gleichen Substanz. Von der Industrie werden sie aufgrund dieser Eigenschaften besonders geschätzt und zum Beispiel als Hilfsstoffe bei der Herstellung von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln oder als Zusatzstoffe in Lebensmitteln eingesetzt. Ihr Gebrauch ist weit verbreitet und wird kontrovers diskutiert. Obwohl zahlreiche Studien die potenzielle Gefahr von Nanopartikeln zeigen und ihre Unbedenklichkeit sehr fraglich ist, werden Nanopartikel weiter bedenkenlos eingesetzt. Der Verbraucher kann sich gegen die unfreiwillige Aufnahme der kleinsten Teilchen kaum erwehren, denn eine klare Deklarationspflicht gibt es bislang nicht.

Aus unserer Sicht sind die Folgen der Nanopartikel im menschlichen Organismus schwer absehbar (Kapitel 22.1). Einige Studien deuten darauf hin, dass Nanopartikel unkontrolliert die Darmbarriere passieren und somit ins Blut gelangen können (Kapitel 22.1.1). Die Befürchtung ist, dass sie von dort unter Umständen, je nach Größe der Partikel, in unterschiedliche Organ- und sogar Zellbereiche eindringen und sich dort ablagern könnten. Darüber hinaus stehen sie im Verdacht, unkontrolliert weitere Stoffe zu maskieren, die dann ebenfalls in den Körper eingeschleust werden. Es existieren nun zunehmend Studien, die belegen, dass Nanopartikel entzündungsfördernd sowie möglicherweise neurotoxisch sind (Kapitel 22.1.5), die Darmflora und das Immunsystem (Kapitel 22.1.2 und 22.1.4) beeinträchtigen sowie Zell- und DNA-Schäden (Kapitel 22.1.3) verursachen.

Solange die Mechanismen, wie Nanopartikel sich im Organismus und vor allem auch auf subzellulärer Ebene verhalten, nicht eindeutiger geklärt werden können und geeignete Studien fehlen, die die potenziellen Risiken dieser Stoffe widerlegen können, raten wir dazu, auf Nanopartikel bestmöglich zu verzichten. Leider ist dies für den Verbraucher kaum möglich, da sich hinter Substanzen wie Titandioxid, Siliciumdioxid und mikrokristalliner Cellulose undeklarierte Nanopartikel verbergen.

Die folgenden Seiten geben einen Überblick über Nanopartikel im Allgemeinen, die gesetzlichen Grundlagen und aktuellen Forschungsergebnisse. Anschließend werden die potenziellen Gefahren der am häufigsten verwendeten Nanopartikel-enthaltenden Stoffe anhand klinischer Studien aus den letzten 20 Jahren dargestellt. Hier spielen vor allem Titandioxid (Kapitel 22.2.1) und in Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel im Besonderen Siliciumdioxid (Kapitel 22.2.2) und mikrokristalline Cellulose (Kapitel 22.2.3) eine übergeordnete Rolle.

Was sind Nanopartikel?

Die Definition eines Nanopartikels oder einer Substanz, welche solche Partikel enthält, wird in der Literatur noch immer diskutiert. Die gebräuchlichste Definition eines Nanopartikels entstammt einem Dokument der Europäischen Kommission von 2011. (555) Hier wird vorgeschlagen, Nanopartikel als ein natürliches oder erzeugtes Material zu definieren, bei dem mindestens 50 % der Partikel eine Größe von weniger als 100 nm aufweisen. Wie wir später noch sehen werden, ist diese Definition nicht ganz unproblematisch, da sie beispielsweise sehr viel Spielraum bei der Deklaration von Nanopartikel-enthaltenden Produkten zulässt.

In unserer Umwelt sind wir mehr und mehr Nanopartikeln ausgesetzt. Als Mikroplastik und Feinstaub sind sie längst bekannt. (556) In unserem Körper kommen Nanopartikel als winzige Moleküle, wie zum Beispiel das Eisenspeicherprotein Ferritin, natürlich vor. Auch in der Nahrung finden sich natürliche Nanopartikel – so nehmen wir beispielsweise Caseinmizellen mit der Milch in Nanoform auf. Sogar Viren könnten als Nanopartikel bezeichnet werden. (557)
Neben den „natürlich” vorkommenden Nanopartikeln nimmt aber die Zahl der industriell hergestellten Nanopartikel immer weiter zu. Zum Teil werden diese kleinsten Partikel ganz bewusst hergestellt, um ihre besonderen Eigenschaften zu nutzen. Nanopartikel können als kleinste Teilchen nahezu überall hingelangen und auch als Transportvehikel dienen, indem sie andere Stoffe umschließen, wie das teilweise bei “functional food” und “targeted drug delivery” Anwendung findet. Gerade im Bereich des “targeted drug delivery”, der gezielten Einschleusung von Medikamenten, wird umfangreich geforscht, um Medikamente mittels Nanopartikeln gezielt an ihren Wirkort zu bringen. Hier könnten Nanopartikel also durchaus einen positiven Nutzen haben.

Nanopartikel entstehen auch als Zufalls- oder Nebenprodukt bei bestimmten Produktionsverfahren und werden somit zum Teil bewusst, zum Teil zufällig eingesetzt. In Kosmetika, Sonnencreme, Zahnpasta, aber auch in Nahrungsmitteln – beispielsweise als Rieselhilfen in Salz –, Verpackungsmaterialien, Tierfutter, Farben und Textilien sind sie enthalten. (558) Für die Pharmaindustrie bzw. auch für den Markt der Nahrungsergänzungsmittel sind bislang aber vor allem die besonderen Fließeigenschaften von Nanomaterialien bei der Herstellung von Kapseln und Tabletten von Bedeutung. Im Weiteren beziehen wir uns daher besonders auf die Verwendung von Nanopartikel-enthaltendem Material als Begleit- und Zusatzstoff für die Herstellung von Medikamenten und vor allem für Nahrungsergänzungsmittel.

Während Nanopartikel also längst Einzug in zahlreiche Produkte des täglichen Lebens gefunden haben, wachsen in der Bevölkerung Skepsis und Bedenken über die Sicherheit dieser kleinsten Teilchen. Auch in der Wissenschaft wird kontrovers diskutiert, ob die auf der einen Seite gewünschten Eigenschaften der Partikel auch zu unerwünschten Interaktionen mit unseren Körperzellen und subzellulären Bestandteilen führen können (siehe Kapitel 22.1). Über die äußerst unzureichende Studienlage ist man sich jedoch einig. So sollen einzelne Studien zwar die scheinbare Sicherheit einzelner Nanoprodukte belegen, doch es häufen sich gegenteilige Studien, deren Ergebnisse darauf hindeuten, dass Nanopartikel nicht so unbedenklich sind, wie oft behauptet wird. In Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, mit einer Substanz, die der Gesundheit dienen soll, unbeabsichtigt potenziell gesundheitsschädliche Stoffe zuzuführen – zumal erste Studien klare negative Wirkungen zeigen. (33,35–39,559–561)

Weitverbreitete Anwendung

Neben den oben erwähnten Anwendungsgebieten in der Industrie, in Textilien, Farben und Kosmetik werden Nanopartikel im Lebensmittelsektor vor allem in Verpackungsmaterialien eingesetzt. Weitere besonders häufig verwendete Stoffe sind das Siliciumdioxid (E551), welches als Antiklumpmittel – z. B. in Salz – eingesetzt wird, und Titandioxid (E172), welches meist als weißer Farbstoff – z. B. in Kaugummis – Verwendung findet. Für die Industrie besonders interessant ist die Nutzung von Nanopartikeln zur Herstellung von “functional food”. Dies umfasst die Nanoverkapselung von Substanzen als Schutz vor Oxidation oder zur besseren Passage des Magens und zur Erhöhung der Bioverfügbarkeit. (562) In Arzneimitteln werden gleichermaßen häufig und oft in Kombination Siliciumdioxid (E551) und Titandioxid (E172) verwendet; in Nahrungsergänzungsmitteln handelt es sich größtenteils um Siliciumdioxid oder mikrokristalline Cellulose (MCC).

Der Frage, inwieweit Nanopartikel heutzutage bewusst von der Industrie eingesetzt werden, ging die Organisation „As You Sow 2012” in einer Befragung von 2500 Nahrungsmittelherstellern nach (563). Interessanterweise waren nur 26 Firmen bereit, Auskunft zu geben. Aus weiteren Nachforschungen konnte aber angenommen werden, dass mindestens 69 der Firmen Produkte mit Nanopartikeln herstellen. Dass die tatsächliche Verbreitung von Nanopartikeln weit größer ist, lässt eine weitere Studie von „As You Sow” vermuten: Bei der Analyse von Donuts fanden sie in 9 von 10 Produkten Nanopartikel.

Unzureichende Deklaration

Letztendlich bezieht sich die für die Lebensmittelkennzeichnung relevante Definition für Nanopartikel auf die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. (564) Diese wurde 2015 mit der neuen Novel-Food-Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 angepasst. (565) Seit Mitte Dezember 2014 müssen demnach alle unter diese Definition fallenden Zusatzstoffe durch das Wort „nano“ gekennzeichnet werden. Dabei ist allerdings wichtig, dass dieser Zusatzstoff in Nanogröße für diesen Zweck absichtlich hergestellt wurde und neuartig ist. Bei der Herstellung von Lebensmittelzusatzstoffen als Nebenprodukt zufällig entstehende oder aus natürlichen Quellen stammende Nanopartikel sind hingegen nicht deklarationspflichtig.

Auch die Definition für Nanopartikel an sich birgt schon ein Problem, denn wenn definitionsgemäß mindestens 50 % der Partikel kleiner als 100 nm sein müssen, damit das Produkt überhaupt als Nanomaterial definiert wird, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass bis zu 50 % Nanopartikel enthalten sein können, ohne dass der Verbraucher darüber informiert wird. Bei einem der meistdiskutierten Nanoprodukte, dem Titandioxid, liegen produktionsbedingt meist weniger als 50 % im Bereich unter 100 nm vor, wodurch die Kennzeichnungspflicht entfällt. Ob diese Vorgehensweise sinnvoll ist, bleibt fragwürdig, wenn man bedenkt, dass auch eine geringe Menge Nanomaterial schon eine enorm große Anzahl an Teilchen enthält. Selbst in nur einem Nanogramm (0,000000001 Gramm) sind dies 10 bis 100 Milliarden Nanopartikel.

Damit kommen wir direkt zur nächsten Herausforderung. Der Femtogrammbereich (1e-15) stellt die heute technisch mögliche Nachweisgrenze dar. In einem Femtogramm befinden sich immer noch circa 100.000 Nanoteilchen, welche jedoch nicht erfasst werden können. Zudem lässt sich auch technisch nicht zwischen natürlich vorkommenden und synthetisch hergestellten Nanopartikeln unterscheiden. Synthetisch hergestellte Substanzen wie Titandioxid, welche produktionsbedingt Nanoteilchen enthalten, waren zudem schon lange auf dem Markt, bevor es überhaupt eine Diskussion um Nanopartikel gab.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nur eine unzureichende Deklarationspflicht für Nanopartikel gibt. Das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe benennt dies sehr treffend: „Die gesetzliche Regelung bietet viel Raum für Interpretationen.“ (6)

Große Unsicherheit bei der Regulierung

Eine gute Übersicht über die wichtigsten internationalen Regularien und Gesetzestexte findet sich in dem Review von He et al. aus dem Jahr 2019. (566) In der EU wird die Neuzulassung von Nanomaterialien durch die REACH Leitlinien geregelt. REACH steht für „Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe“. Die REACH Leitlinien beinhalten Dokumente, die den Registrierenden helfen sollen, die gesetzlichen Anforderungen zu Nanomaterialien zu erfüllen. Diese Verordnung bezieht sich aber nur auf neu hergestellte Stoffe, die unter die Definition Nanopartikel der EU-Kommission fallen. Auf alle bisher schon zugelassenen Nanomaterialien bzw. Stoffe, welche weniger als 50 % Nanopartikel enthalten, beziehen sich die neu angepassten REACH Leitlinien natürlich nicht.

Zudem heißt es in einem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahr 2018 veröffentlichten Leitfaden, dass die Definition für Nanopartikel in Überarbeitung sei. So könnten in Zukunft auch bestimmte Partikel, die größer als 100 nm sind, einbezogen werden. (567) Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) betrachtet unter bestimmten Bedingungen schon Partikel bis zu einer Größe von 1000 nm unter den gleichen Kriterien wie Nanopartikel, wenn das Material oder Produkt hergestellt wird, um bestimmte Eigenschaften oder biologische Effekte zu haben, die direkt auf ihre Größe zurückzuführen sind. (568)

Die Behörden sehen sich insgesamt mit einem „Informationsdefizit über die Risiken der meisten Nanomaterialien sowie den Unsicherheiten über die zurzeit benutzen Testmethoden“ konfrontiert, wie Jenny Holmqvist, die Koordinatorin für Nanomaterialien der Europäischen Chemikalienagentur ECHA, in einem Interview im September 2018 zugesteht. (569) Daher sei es sehr schwierig, die Sicherheit von Nanomaterialien zu bewerten. Um der aktuellen Studienlage Rechnung zu tragen, traten ab Januar 2020 zwei Amendments zu den vorhandenen REACH Richtlinien in Kraft. (570) Die Änderungen oder Ergänzungen bestehen vor allem darin, dass zusätzlich zum bisherigen Vorgehen weitere Untersuchungen der Hersteller zu den unterschiedlichen Formen (Charakterisierungsinformationen) der Nanopartikel und Oberflächenstrukturen gefordert werden. Außerdem wird darauf eingegangen, wie man Sets von Nanoformen aufbaut und Risikodaten zwischen verschiedenen Sets von Nanoformen eines Stoffes bewertet. (571) Auch die EFSA und das BfR unterstreichen in ihren Veröffentlichungen 2018/2019 ihre Absicht, Testverfahren zu vereinheitlichen bzw. zu vereinfachen und Nanomaterialien zu gruppieren. (567,572)

Dass die Bewertung der Sicherheit von Nanopartikeln an sich schwierig ist, zeigt auch die Uneinigkeit der Behörden im Falle des Titandioxids. So stufte die EFSA Titandioxid E171 lange als unbedenklichen Lebensmittelzusatzstoff ein, da ihrer Meinung nach erst in sehr hohen, unrealistischen Konzentrationen ein geringer toxischer Effekt einträte. (573,574) In Frankreich hingegen wurde die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff bereits im Jahr 2020 gestoppt. Die zuständige Behörde ANSES kam zu dem Schluss, dass es an wissenschaftlichen Daten mangle, welche die Unsicherheiten in Bezug auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Titandioxids ausräumen ließen und bezieht sich hierbei auf eine französische Studie des INRA. (33,559) Die europäische Behörde EFSA sah jedoch aufgrund der Schwächen der Studie und der geringen oralen Bioverfügbarkeit und Exposition des Titandioxids zunächst keinen Anlass für gesundheitliche Bedenken. (575) Erst nach weiteren Untersuchungen kommen nun Zweifel an der Unbedenklichkeit des Stoffes auf – mit der Folge eines EU-weiten Verbots zur Anwendung von Titandioxid in Lebensmitteln ab Sommer 2022.

Anders verhält es sich beim Siliciumdioxid. Hier reichen nach Meinung der EFSA die vorhandenen Studien aus, um eine toxische Wirkung auszuschließen (576). Dieser Beurteilung stehen wir allerdings deutlich kritischer gegenüber. Zugleich weist die Behörde aber darauf hin, dass weitere toxikologische Untersuchungen für das nanoskalige Siliciumdioxid notwendig sind. Auch hier ist die Datenlage für nanoskaliges Siliciumdioxid unvollständig und die lokale Wirkung auf den Verdauungstrakt bislang nicht ausreichend untersucht. (577)

Unzureichende Studienlage

Dass die Studienlage zu Nanopartikeln so unzureichend ist, hat diverse Gründe. Zum einen wird die mangelnde Vergleichbarkeit der Studien immer wieder kritisiert. Oft werden nicht vergleichbare Konzentrationen angewendet bzw. unterscheidet sich die Größenverteilung der Partikel zum Teil enorm. Zum anderen ist die Bandbreite der verwendeten Materialien an sich schon riesig. Ein weiterer Kritikpunkt sind generell zu hohe Dosierungen. Hierdurch kämen möglicherweise unspezifische toxische Effekte zum Tragen. (558,578)

Auch das Verhalten der Nanopartikel an sich ist, wie oben erwähnt, äußerst heterogen. Die Partikel liegen in unterschiedlichen Systemen und unter unterschiedlichen Bedingungen in anderen Formen vor, bilden Aggregate und Konglomerate, die sich wiederum anders verhalten als die einzelnen Teilchen. Hierbei spielen auch Adhäsionseffekte und die Oberflächenbeschaffenheit der Teilchen selbst eine Rolle. (579) All diese Phänomene erschweren die Vergleichbarkeit der Studien untereinander, werfen darüber hinaus aber auch die Frage nach der Übertragbarkeit auf den menschlichen Organismus auf. (580,581) Daher werden vor allem weitere In-vivo-Studien mit niedrigeren Konzentrationen und unter chronischer Exposition gefordert.

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