8.4 Bakterielle Stoffwechselprodukte (Histamin, Probiotika und Fermentation)

Nicht nur mikrobielle Erreger selbst spielen eine Rolle für die Unversehrtheit von Rohstoffen. Den Algen- und Mykotoxinen ist aufgrund dessen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet (siehe Kapitel 9 und 10). Doch auch Bakterien können Substanzen bilden, die zum Teil toxisch sind oder für Unverträglichkeiten sorgen – und zwar auch, wenn das Endprodukt frei von den jeweiligen Mikroorganismen ist. Von spezieller Relevanz ist die Bildung von biogenen Aminen – besonders bekannt ist hier das Histamin. Auch bei Fermentationsprozessen entstehen natürlicherweise mikrobielle Stoffwechselprodukte; hierunter befinden sich in geringem Maße auch Substanzen, die als “wahrscheinlich krebserregend” eingestuft werden.

Biogene Amine, Histamin, Histaminbildner

Biogene Amine sind Stoffwechselprodukte, die zum Teil auch natürlicherweise im menschlichen Körper gebildet werden. Der bekannteste Vertreter Histamin spielt nicht nur bei allergischen Reaktionen eine Rolle, sondern reguliert verschiedenste Körperfunktionen von der Magensaftsekretion über das Zellwachstum und die Zelldifferenzierung bis hin zur Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus und der Ausprägung von Lern- und Gedächtnisleistung. Im Übermaß jedoch fördert Histamin Entzündungsprozesse und allergische Reaktionen.

Histamin wird aus der Aminosäure Histidin gebildet und ist als Gewebshormon vor allem vasoaktiv; das heißt, es kann die peripheren Blutgefäße erweitern, während es die zentralen Blutgefäße verengt. Dies führt einerseits zu Hautrötungen und Schwellungen, andererseits zu einem erhöhten Blutdruck. Warum genau das Gleichgewicht zwischen anfallendem Histamin und Histamin-Abbau bei einigen Menschen aus den Fugen gerät, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Man nimmt jedoch an, dass bei rund 15 % der Bevölkerung ein entweder genetischer oder medikamentenbedingter Enzymdefekt vorliegt, welcher den Abbau von Histamin verringert. (279) Weitere Ursachen werden von erfahrenen Therapeuten ausgiebig diskutiert.

Der Enzymdefekt ist im Regelfall durch einen Mangel des Histamin-abbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO) geschuldet. Eine Genvariation des zweiten Histamin-abbauenden Enzyms Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) kann die Symptomatik verstärken. (280)

Unabhängig davon, wie der genaue Mechanismus hinter einer Histaminunverträglichkeit im Einzelnen abläuft, wird eine zusätzliche Belastung mit Histamin über entsprechende histaminhaltige Nahrungsmittel von den Betroffenen schlecht vertragen und es können die unterschiedlichsten Symptome auftreten. Diese reichen von Übelkeit, Verdauungsproblemen, Herzrasen, häufig auch Benommenheit oder Kopfschmerzen bis hin zu allergischen Symptomen aller Art (Quaddelbildung, Urtikaria, Atemnot, Asthma).

Bei einer Histamin-Problematik werden zudem häufig Belastungen mit Schimmel im Wohnraum, Schwermetall- oder Chemikalien-Belastungen sowie parasitäre oder virale Belastungen (z. B. EBV, Lyme) nachgewiesen. Mit einer auffälligen Häufung treten zudem andere gesundheitliche Probleme wie Dünndarmfehlbesiedlungen, SIBO (small intestinal bacterial overgrowth), Candidosen, verschiedene Störungen des Hormonsystems (z. B. betreffend der Schilddrüsenfunktion oder des Östrogenstoffwechsels) auf. (279,281)

Aufgrund der vielschichtigen Symptomatik wird eine Histaminunverträglichkeit noch immer selten diagnostiziert. Die Behandlung erfolgt über Medikamente, welche die Histaminrezeptoren blockieren und so zwar nicht zu einer Verringerung des überschießenden Histamins, aber zu einer Minderung der Symptomatik führen. Eine wichtige Maßnahme ist jedoch, die Auslöser zu meiden, wozu vor allem die Vermeidung biogener Amine aus Lebensmitteln zählt. Vor allem bei der Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. bestimmte Antidepressiva, die Monoaminooxidase-Hemmer) kann aufgrund des verminderten Abbaus die Toleranz für biogene Amine besonders herabgesetzt sein.

Biogene Amine kommen zum einen natürlicherweise in bestimmten Lebensmitteln verstärkt vor (z. B. Tomaten, Avocado), auf der anderen Seite führen Verarbeitungsprozesse, in erster Linie die Fermentation und (falsche) Lagerung, zu einer verstärkten Bildung. Histamin oder Tyramin sind in besonderem Maße in fermentierten Nahrungsmitteln – ​​Rohwurst, Anchovis, Sojaprodukten und Sauerkraut – und durch die Reifungsprozesse in vielen Käsesorten enthalten. Beim Lebensmittelverderb entstehen vor allem Putrescin und Cadaverin. Dies betrifft in besonderem Maße Fisch- und Fleischprodukte, jedoch auch Gemüse (z. B. Blattgemüse und Pilze). Zudem gibt es Lebensmittel, welche die Histamin-abbauenden Enzyme hemmen (z. B. Rotwein) oder die körpereigene Histaminfreisetzung besonders fördern. Letztere werden auch Histaminliberatoren genannt. Hierzu zählen unter anderem Kaffee, Kakao, Alkohol und Zitrusfrüchte. Auch bestimmte Aroma- und Geschmacksstoffe führen zur Bildung biogener Amine. Von der EU wurden bislang nur Höchstgehalte für Histamin in histidinreichen Meeresfischen (z. B. Thunfisch) festgelegt. Die österreichische Lebensmittelbehörde AGES schlägt weitere tolerierbare Höchstgehalte für bestimmte Lebensmittelgruppen, unter anderem fermentierte Wurst und Käse, vor. (279)

Tabelle: Wirkungen und Vorkommen einzelner biogener Amine (exemplarisch)

Biogenes Amin

Wirkungen

Beispiele für Lebensmittel

Histamin

Übelkeit, Kopfschmerzen, Atemnot, Herzrasen (Tachykardie), Herzrhythmusstörungen (Extrasystolen), Abfall des Blutdrucks (Hypotonie), Anschwellen der Augenlider (Ödeme) und Nesselausschlag (Urtikaria)

Thunfisch, Hartkäse oder Rotwein

Tyramin

eines der wichtigsten vasoaktiven Amine; Kopfschmerzen und Anstieg des systolischen Blutdrucks

Käse, Fleischerzeugnisse, Fisch

β-Phenylethylamin

vasoaktiv, Kopfschmerzen, Schwindel, Hitzegefühl, Übelkeit und ein Anstieg des systolischen Blutdrucks

Käse und Fisch, Rohwurst, Schokolade, Würzsaucen

Tryptamin

Neuromodulator, vasoaktiv, Blutdruckanstieg, Kopfschmerzen, Fieber, manchmal Erbrechen und Schwitzen

Fisch und Meeresfrüchte, Bier, Käse und Fleischprodukte, Sauerkraut, fermentierter Tofu

Putrescin und Cadaverin

Vorstufen für krebserregende Nitrosamine, verstärken die Wirkung anderer biogener Amine, v. a. in Kombination mit Alkohol oder bestimmten Medikamenten (Monoamin- oder Diaminoxidasehemmer),

Putrescin fördert die Zellteilung und spielt auch eine Rolle beim Tumorwachstum

hygienische Mängel in der Lebensmittelherstellung, proteinreiche Lebensmittel, Käse

Quellen: (279,281,282)

Insbesondere durch schlechte Verarbeitungsbedingungen oder das Hinzufügen von Zusatzstoffen können biogene Amine auch in vermeintlich histaminarmen Nahrungsergänzungsmitteln vorkommen. Dies wird von den Betroffenen in der Praxis sehr häufig bestätigt.

Auch bei Probiotika ist für Histamin-sensible Menschen Vorsicht geboten. Diese enthalten vermehrungsfähige Bakterien oder Sporen, die zum Teil (und natürlicherweise) auch biogene Amine bilden können. Im Falle einer Histaminintoleranz werden Probiotika daher oft besonders schlecht vertragen, obwohl sie wegen häufig auftretender Dysbiosen indiziert sind. Im Zweifel muss hier auf besondere Bakterienstämme ausgewichen werden (s. u.). Des Weiteren wird häufig darauf hingewiesen, dass durch Fermentationsprozesse hergestellte Nahrungsergänzungsmittel von histaminempfindlichen Personen schlecht vertragen werden. Hintergrund dieses Hinweises sind mögliche Histaminspuren im Endprodukt. Wir sind dieser Frage übrigens bei unserem „Vitamin C aus Fermentation“ nachgegangen und haben es im Labor testen lassen; es konnte zumindest in unserem Produkt kein Histamin nachgewiesen werden. Wir empfehlen dennoch, die Verträglichkeit fermentierter Produkte immer im Einzelfall zu testen.

Histaminbildung durch Probiotika

Bei der Einteilung der Tyramin- und Histamin-bildenden Stämme gibt es einige Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen Autoren. So gilt zum Beispiel Lactobacillus casei, ein Stamm, der in sehr vielen Produkten enthalten ist, grundsätzlich als Histamin-bildend – während andere Autoren darauf hinweisen, dass es auch hier Untergruppen gibt, welche Histamin sogar abbauen können. (283,284) Ebenso werden über die Stämme Lactobacillus acidophilus, reuteri und plantarum verschiedene Aussagen gemacht. Klarer ist die Einordnung der Stämme, die für Histamin-empfindliche Personen verträglich sein sollen, beziehungsweise sogar dazu beitragen können, Histamin abzubauen. Im Zweifelsfall ist also eine Beschränkung auf diese Stämme sinnvoll. Inwiefern Tyramin-bildende Stämme vertragen werden, ist sehr individuell. Die Verträglichkeit einzelner Präparate kann daher nicht pauschal beantwortet werden und ist im Einzelfall unter genauer Selbstbeobachtung zu überprüfen.

Tabelle: Einteilung probiotischer Bakterien gemäß Histaminbildung

Histamin

abbauend

Neutral

Histamin

bildend

Tyramin

bildend

 

 

 

 

 

 

 

Bifidobacterium

infantis

longum

Lactobacillus

gasseri

rhamnosus

salivarius

plantarum

 

 

Bifidobacterium

spp.

 

Lactobacillus

casei

fermentii/fermentum

delbrueckii subsp.

bulgaricus

(reuteri, plantarum, lactis)

 

Enterococcus

faecialis/faecium

 

Escherischia

coli

Lactobacillus

helveticus

(acidophilus,

lactis)

 

 

 

Streptococcus

thermophilus

Quellen: (282–286)

Für mehr Informationen zu Kontaminationen mit Bakterien und/oder Viren und Pilzen siehe einleitendes Kapitel 8.

Fermentation: Ethylcarbamat, Urethan

Ethylcarbamat, auch Urethan genannt, gilt als mäßig akut toxisch, jedoch wurde die Substanz im Jahr 2007 aufgrund von mutagenen Wirkungen (in vitro) als "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" eingestuft. (287) Mutagene Wirkungen wurden in zahlreichen Tierversuchen ebenfalls bestätigt. (288)

Ethylcarbamat ist eine sogenannte Prozesskontaminante, die in höheren Mengen vor allem in Obstbränden vorkommt. Während des Destillationsprozesses wird aus den Obststeinen Blausäure oder Cyanid freigesetzt, welches in Verbindung mit Alkohol zu Ethylcarbamat reagiert. Eine zweite Quelle für Ethylcarbamat sind alle fermentierten Produkte: Durch die Stoffwechseltätigkeit der Mikroorganismen wird aus Harnstoff und Aminosäuren Ethylcarbamat gebildet. Die Mengen, die während des Destillationsprozesses unter ungünstigen Bedingungen entstehen können, sind jedoch um ein Vielfaches, bis zum Tausendfachen, höher als in fermentierten Produkten – zumal der Alkohol die karzinogene Wirkung des Ethylcarbamats zusätzlich verstärken kann. (287,288) Durch geeignete Herstellungsverfahren kann der Gehalt aber auch in Obstbränden deutlich reduziert werden, weshalb in Deutschland Steinobstbrände mit mehr als 1 mg/l als nicht sicher gelten. Bevor Ethylcarbamat als karzinogen eingestuft wurde und regelmäßige Tests durchgeführt wurden, wurden durchaus Werte von deutlich über 1 mg/l gemessen. (289,290)

Tabelle: Durchschnittliche Ethylcarbamat-Gehalte in Lebensmitteln

Lebensmittel

Gehalt in µg/kg oder µg/l

Obstbrände

400-1.000

Whiskey

29-32

Wein

4-10

Brot

<4

Bier

<1

Joghurt, Käse

<1

Quelle: (291)

Für mehr Informationen zu Kontaminationen mit Bakterien und/oder Viren und Pilzen siehe einleitendes Kapitel 8.

Mikrobielle Belastungen: Das Wichtigste zusammengefasst

●      Am häufigsten mikrobiell belastet sind tierische Lebensmittel, z. B. Salmonellen in Ei und Geflügelfleisch. Pflanzliche Lebensmittel sind in deutlich geringerem Umfang betroffen.

●      Als Quellen für pflanzliche Kontaminationen gelten vor allem belastete Böden oder Saatgut, organischer Dünger, verunreinigtes Wasser, mangelnde Hygiene in der Verarbeitung, Verpackung und im Transport.

●      Eine sorgfältige Verarbeitung der Rohstoffe durch den Hersteller, die Einhaltung hygienischer Arbeitsbedingungen sowie regelmäßige Laborkontrollen helfen, die Keimzahl in Produkten zu verringern.

●      Sporenbildende Bakterien (vor allem Bacillus spp.) und Schimmelpilze sind die dominierenden mikrobiellen Kontaminanten in getrockneten Kräutern und Supplementen.

●      Schimmelpilze können zum Teil in mehr als 80 % der getesteten getrockneten pflanzlichen Produkte nachgewiesen werden. Die häufigsten sind Aspergillus spp., Penicillium spp. und Alternaria spp. Eine Überschreitung der Grenzwerte wird jedoch selten beobachtet. Belastungen mit Hefepilzen in getrockneten, pflanzlichen Produkten sind sehr selten. Die Toxine von Schimmelpilzen können langfristig zu chronischen Gesundheitsproblemen, von Allergien bis zu Erkrankungen der Lunge, des Verdauungstraktes und der Leber führen.

●      Bakterielle Kontaminationen kommen in getrockneten Produkten mit einer geringeren Keimzahl vor als in frischen Lebensmitteln (z. B. Salat und Kräutern). Bakterien und bakterielle Toxine lösen überwiegend Symptome des Magen-Darm-Traktes (Durchfall, Übelkeit, Erbrechen) aus. Nachweise in der Produktgruppe der Tees, Superfoods und Nahrungsergänzungen betreffen in Deutschland vor allem:

-        Bacillus cereus in getrockneten Kräutern und auch in (Kräuter-)Tees, Moringa, Grasprodukten oder Spirulina,

-        pathogene E. coli in Weizen- und Gerstengraspulver,

-        selten Salmonellen.

●      Eine vollkommene Freiheit von mikrobiellen Keimen ist in natürlichen Lebensmitteln nicht möglich. Sterilisation über Wasserdampf ist i. G. zur Behandlung mit Chemikalien oder Bestrahlung eine effektive und gesundheitlich unbedenkliche Möglichkeit, die Keimzahl gering zu halten.

●      Getrocknete pflanzliche Produkte sollten immer trocken und luftdicht verpackt aufbewahrt werden. Frische oder frisch zubereitete Rohkostprodukte müssen gekühlt aufbewahrt und nach der Zubereitung sofort verzehrt werden. Dies gilt auch für Pflanzenpulver in Smoothies.  

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