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16.1.5 Stevia

Das im Handel angebotene “Stevia” enthält konzentrierte Steviolglycoside, welche etwa 200- bis 300-mal süßer sind als üblicher Haushaltszucker (Saccharose). Stevia weist hierbei einen charakteristischen süßholzartigen und leicht bitteren Nachgeschmack auf. (429,440) Die Gewinnung der Steviolglycoside aus der Steviapflanze ist ein hochtechnischer und sehr aufwendiger Prozess, der viele Aufreinigungsschritte beinhaltet. Bei empfindlichen Personengruppen kann Steviaextrakt allergische Reaktionen hervorrufen, da die Pflanze neben vielen weiteren allergieauslösenden Pflanzen zur Pflanzenfamilie der Asteraceae gehört. Wie bei den synthetischen Süßstoffen konnten in Studien auch für Stevia negative Auswirkungen auf das Darmmikrobiom nachgewiesen werden.

Hochtechnologische Herstellung

Der Süßstoff Stevia wird aus natürlichen Rohstoffen über die Vermehrung der Pflanzen mittels Stecklingen oder Aussaat gewonnen. Da die Ausbeute an die Entwicklung der Pflanzen gebunden ist, wird weltweit daran geforscht, die Kultivierung von Stevia-Pflanzen biotechnologisch zu optimieren und deren Ertrag zu steigern. Für die Vermehrung der Pflanzen wird eine in vitro Gewebekulturtechnik genutzt. Aus den erzeugten Zellkulturen entstehen unter optimalen Bedingungen wieder vollständige Steviapflanzen. Unter kontrollierten Wachstumsbedingungen kann hierbei eine Massenproduktion von Steviasetzlingen erreicht werden. (455)

Steviolglycoside sind seit 2011 als Süßungsmittel in der EU zugelassen. Sie werden über Extraktions- und Aufreinigungsverfahren aus den Blättern der Steviapflanze gewonnen. Für die sensorischen Eigenschaften der Steviolglycoside sind die beiden Hauptkomponenten Steviosid und Rebaudiosid A verantwortlich. Der Geschmack des Stevia-Extraktes hängt von den Anteilen dieser beiden Stoffe ab. Der natürliche Extrakt der Pflanze weist einen bitteren, süßholzartigen Nachgeschmack auf, was die Einsatzmöglichkeiten als Süßstoff stark einschränkt. Um den störenden Nachgeschmack zu entfernen, wurde die Herstellung deshalb über viele hochtechnische Verfahrensschritte angepasst. Zunächst wird ein Extrakt mit Wasser oder Alkohol hergestellt, welcher anschließend mehreren Aufreinigungs- und Anreicherungsprozessen unterzogen wird. Hierzu zählen Behandlungen mit anorganischen Salzen oder gezielte Veränderungen des pH-Wertes, Nachbehandlung mit Ionenaustauschern, Entfernen unerwünschter Begleitsubstanzen durch Zugabe von hochaktiven Polymeren, Aufreinigung über chromatographische Verfahren, Absorption von Pflanzenpigmenten, Flüssigextraktion, Elektrophorese und Membranfiltration. Bei diesen Verfahrensschritten werden unterschiedlichste chemische Verbindungen eingesetzt, um störende Bestandteile des Extraktes zu binden. (456)

Dieser durch viele Herstellungsschritte stark angereicherte und aufgereinigte, hochintensive Süßstoff ist mit dem nur leicht süßlichen, natürlichen Stevia-Extrakt kaum noch zu vergleichen.

Allergische Reaktionen

Die Steviapflanze (Stevia rebaudiana Bertoni) gehört zur Familie der Asteraceae. Zu dieser Pflanzenfamilie zählen ebenfalls viele allergieauslösende Arten wie Ambrosia, Goldrute, Sonnenblume oder Kamille. So liegt die Annahme, dass Stevia ebenfalls ein allergenes Potenzial aufweist, sehr nahe. Überempfindlichkeitsreaktionen auf Steviaprodukte sind in der Literatur selten dokumentiert oder untersucht worden. In einigen wenigen Fallstudien wurde von allergischen Reaktionen, wie Ekzemen, Urtikaria, allergischer Rhinitis, Bronchialasthma oder Bluthochdruck nach dem Konsum von Steviaprodukten berichtet. (457)

Auf Basis dieser unvollständigen wissenschaftlichen Daten wurde Stevia-Extrakt dennoch als wahrscheinlich sicher und nicht allergen eingestuft und als Süßstoff für viele Anwendungsbereiche zugelassen. Zudem wird aufgrund der starken Aufreinigung der Stevia-Extrakte davon ausgegangen, dass sich kein allergenes Material mehr darin befindet. Dies ist jedoch kritisch zu betrachten, da Personen mit multiplen Pollenallergien ebenfalls stark auf die orale Aufnahme allergener Pflanzenarten reagieren können. Für Verbraucher gibt es diesbezüglich keine Warnhinweise auf den Produkten. Es liegen zudem derzeit keine wissenschaftlichen Untersuchungen über das tatsächliche allergene Potenzial von Stevia-Extrakten bei Pollenallergikern vor. Eine Forschungsgruppe kam daher zu dem Schluss, dass der Konsum von Steviaprodukten für Personen mit bereits vorhandenen Allergien gegen Pflanzen der Familie Asteraceae als nicht sicher angesehen werden sollte, da Kreuzreaktionen nicht ausgeschlossen werden können. (457)

Veränderungen des Darmmikrobioms

In Tierstudien wurden nach dem Konsum unterschiedlicher Mengen von Stevia-Extrakt Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms festgestellt. Es wurde eine Zunahme von Bifido- sowie Lactobacillus-Arten festgestellt, während die Zahl der E. coli-Bakterien deutlich abnahm. Einige Bakterienarten haben die Fähigkeit, Steviolglycoside durch geeignete Enzyme aufzuspalten und als Energiequelle zu nutzen. Diese Bakterienarten können sich so trotz fehlender Glucose aus der Nahrung vermehren. (458) In weiteren Studien wurden wiederum antimikrobielle Wirkungen von Stevia-Extrakten auf unterschiedlichste Bakterienarten festgestellt, was zur Abnahme der entsprechenden Bakterien führt. (455) Mögliche Folgen des veränderten Darmmikribioms könnten – ähnlich wie bei den Süßstoffen Saccharin, Aspartam und Neohesperidin – die Förderung von Entzündungsreaktionen und Glucoseintoleranzen sein.

Für eine Übersicht aller Süßungsmittel siehe Kapitel 16.

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