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14.1.4 Perchlorate aus der Wasserdesinfektion

Perchlorate sind langlebige (persistierende) Umweltkontaminanten, die vermutlich überwiegend aus Wasserdesinfektionsmaßnahmen in Lebensmittel gelangen. (394,395) Die Substanzen können hierbei als Nebenprodukt der Wasserdesinfektion mit chlorhaltigen Mitteln entstehen. Natürlicherweise kommen Perchlorate auch im Boden einiger Länder vor – beispielsweise im sogenannten Chile-Salpeter, der als Düngemittel verwendet wird. Außerdem werden Perchlorate als Industriechemikalien, besonders als Raketentreibstoffe, aber auch in Feuerwerkskörpern genutzt. Chlorate – aus denen Perchlorate entstehen können – wurden früher als Unkrautvernichtungsmittel eingesetzt; sind jedoch seit 2008 in der Europäischen Union (EU) verboten. Wegen der hohen Mobilität und Langlebigkeit dieser Kontaminante verbreiten sich Perchlorate jedoch weiträumig und besonders in der aquatischen Umwelt, weshalb vor allem empfindliche Wasserorganismen wie Fische und Amphibien Schaden nehmen. Bei Fröschen wurden Entwicklungsstörungen und Wachstumsanomalien beobachtet, Fische zeigen unter dem Einfluss von Perchlorat eine verspätete Entwicklung der Geschlechtsorgane, eine gestörte Fruchtbarkeit und ein gestörtes Reproduktionsverhalten. (395)

Perchlorat ist ein wirkungsvolles Thyreostatikum und hemmt somit die Schilddrüsenfunktion. Als solches wird es medikamentös bei Schilddrüsenüberfunktionen verabreicht – allerdings ist sein Einsatz aufgrund von teils schweren Nebenwirkungen sehr begrenzt, z. B. vor der Gabe von jodhaltigen Kontrastmitteln bei bekannter Überfunktion der Schilddrüse. Es können Hautausschläge, Übelkeit, Erbrechen, Gelenkschmerzen bis hin zu schweren Blutbildungsstörungen unter der Therapie mit Perchlorat auftreten. An der Schilddrüse hemmt die Substanz einen Ionenkanal, über den Iodid in die Schilddrüse gelangt. Aufgrund dessen kann die Schilddrüse nicht mehr genug der Hormone Thyroxin und Trijodthyronin bilden und es kann zu schwerwiegenden Effekten in verschiedenen Organsystemen kommen. (396)

Beim Menschen kann ein Jodmangel daher zu den typischen Symptomen einer Schilddrüsenunterfunktion führen. Diese umfasst typischerweise Antriebsschwäche, extreme Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Depressionen, Kälteempfindlichkeit, Gewichtszunahme, und häufig ein Enge- und Druckgefühl im Hals, Atem- und Schluckbeschwerden sowie Hauttrockenheit. Eine durch Jodmangel bedingte Unterfunktion der Schilddrüse kann zudem knotige Veränderungen und die Ausbildung einer Jodmangelstruma (Kropf) hervorrufen. Bei Kindern kann ein Mangel an Schilddrüsenhormonen zu schweren Wachstums- und Entwicklungsstörungen mit Intelligenzminderung führen.

Im Gegensatz zu Chlorat, das rechtlich als Rückstand geregelt wird, gilt Perchlorat als Verunreinigung (Kontaminante). Im Mai 2020 wurden die bis dahin geltenden Referenzwerte durch spezifische Höchstgehalte für Perchlorat in einzelnen Lebensmitteln abgelöst [Verordnung (EU) 2020/685]. Im Vergleich zu den zuvor gültigen Referenzwerten wurden die Werte für Säuglings- und Kleinkindnahrung sowie Obst und Gemüse halbiert. Die Höchstgehalte betragen seitdem:

  • 0,01 mg/kg für Säuglingsanfangsnahrung, Folgenahrung, Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke für Säuglinge und Kleinkinder, Kleinkindnahrung sowie Getreidebeikost,
  • 0,05 mg/kg für Obst und Gemüse mit Ausnahme von Kürbisgewächsen und Grünkohl (0,10 mg/kg) sowie Blattgemüse und frischen Kräutern (0,50 mg/kg),
  • 0,75 mg/kg für getrockneten Tee sowie Kräuter- und Früchtetees. (397)

Die EFSA hat für Perchlorat, basierend auf einer Hemmung der Jodaufnahme bei gesunden Erwachsenen, eine tolerable tägliche Aufnahmemenge (TDI, tolerable daily intake) von 0,0003 mg pro kg Körpergewicht abgeleitet. (394) Schon der einmalige Verzehr von großen Portionen bestimmter Gemüsesorten (s. u.) kann zu einer Überschreitung der tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge führen. (396) Nach Einschätzung der EFSA könne die “längerfristige” Aufnahme verbunden mit einem leichten bis moderaten Jodmangel vor allem für jüngere Bevölkerungsgruppen durchaus gesundheitliche Risiken bergen. (394) Für Kleinkinder könne dies bereits nach zwei- bis dreiwöchiger Exposition der Fall sein. Auch Säuglinge, welche von Müttern mit Jodunterversorgung gestillt werden, sind einem besonderen Risiko ausgesetzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein Jodmangel in Deutschland recht häufig auftritt. Knapp 44 % der Kinder und Jugendlichen und circa 40 % der Frauen zwischen 18 und 39 Jahren nehmen weniger Jod als sie benötigen zu sich. (398)

Perchlorate werden regelmäßig in geringen Konzentrationen in Nahrungsmitteln nachgewiesen. In einer stichprobenartigen Untersuchung des BfR waren vor allem Zitrusfrüchte, Beerenobst, Wurzelgemüse, Frucht- und Blattgemüse sowie frische Kräuter betroffen. Dies gilt auch für Bioprodukte. Als unauffällig erwiesen sich hingegen Hülsenfrüchte, Kernobst, Ölsaaten, Pilze und Nüsse. (396)

Das niedersächsische Untersuchungsamt LAVES fand im Untersuchungszeitraum 2018/2019 in 60 von insgesamt 603 Proben quantitativ erfassbare Gehalte an Perchloraten (Bestimmungsgrenze 0,01 mg/kg). (397) Betroffen waren vor allem Früchte und Gemüsesorten aus Gewächshäusern – darunter Zucchini, Gurken, Erdbeeren und Kräuter. Der höchste Gehalt wurde mit 0,058 mg/kg in einer Probe Schnittlauch aus Deutschland gemessen. Die damals geltenden EU-Referenzwerte wurden von keiner Probe überschritten.

Da Perchlorate auch in Produkten aus Europa inkl. Deutschland nachweisbar sind, geht man davon aus, dass die Belastungen nicht aus Pflanzenschutzmitteln stammen, sondern hauptsächlich über Wasserdesinfektions- und Reinigungsmittel eingetragen werden. Wird das kontaminierte Wasser zum Bewässern von Nahrungspflanzen oder in der Weiterverarbeitung verwendet, so können Rückstände in die Lebensmittel gelangen. (397) Mit chlorhaltigen Mitteln gereinigte Produktionsstraßen und Aufbewahrungsbehältnisse könnten ebenfalls eine Quelle für Perchlorat darstellen.

Für eine Übersicht der durch maschinelle Prozesse eingetragene Kontaminanten siehe Kapitel 14.

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